poniedziałek, 25 kwietnia 2016

SPIEGEL-Brief

Liebe Leserin, lieber Leser!
Vom 1995 verstorbenen "Tagesthemen"-Moderator Hanns Joachim Friedrichs stammt der Satz, ein guter Journalist dürfe "sich nicht gemein machen mit einer Sache, auch nicht mit einer guten". Er gilt vielen in der Branche zu Recht als goldene Regel. Glücklicherweise haben sich aber Marc Hujer und Jörg Schindler in ihrem Artikel über den Bundesligaaufsteiger Darmstadt 98 darüber hinweggesetzt. Hujer und Schindler, beide 1968 im Darmstädter Marienhospital geboren, in Abschlagweite vom Stadion am Böllenfalltor, beschreiben voller Sympathie das Innenleben eines Vereins, in dem die Schwiegermutter des Präsidenten vor jedem Heimspiel Butterkuchen backt und Obstkörbe für die "Einlaufkinder" bereitstehen. Ob der Verein, in dessen arg renovierungsbedürftigem Stadion auf Bannern "Aus Tradition anders" steht, mit seinem Underdog-Image auf Dauer im Millionärsambiente der ersten Bundesliga überleben kann, ist eine Frage, deren Antwort die Autoren kennen und fürchten: natürlich nicht. Eine hinreißende Geschichte über jene Sorte Wunder, von der auch und gerade der moderne Profifußball lebt. Von der aber niemand auf Dauer leben kann.
Von einem Wunder, oder, besser gesagt: der Hoffnung darauf, handelt auch das nächste Stück, das ich Ihnen empfehlen möchte. Es geht darin um einen Selbstversuch, den mein Kollege Uwe Buse unternommen hat, weil auch er dem alten Menschheitstraum, für immer jung zu bleiben, nicht gänzlich widerstehen konnte. Auslöser für seine Eigenbehandlung mit dem Männlichkeitshormon Testosteron war die jähe Einsicht, dass er mit 53 Jahren seinem 20 Jahre älteren Nachbarn, der auf einen Rollator angewiesen ist, "lebenszeitlich näher stehe als einem 25-Jährigen". Die daraus resultierende Angst scheint weit verbreitet - in 37 Industriestaaten wuchs der Testosteronkonsum zwischen 2001 und 2011 um das Zwölffache. Buses anfängliche Bedenken über mögliche Nebenwirkungen wichen schnell der Euphorie: "Meine Muskeln sind härter, praller. Ich habe das Gefühl, das Fett schmilzt mir förmlich vom Körper." Ob das Gefühl anhielt und Buse nun als Homunkulus dem Arnold-Schwarzenegger-Fanklub vorsteht, soll an dieser Stelle noch nicht verraten werden.
Für immer jung ist der englische Dramatiker William Shakespeare nicht geblieben. Er starb vor 400 Jahren - und ist dennoch unsterblich. Er lebt, wird gelesen, gespielt, gepriesen, weil er in seinen Werken damals schon die Grundbefindlichkeit des modernen Menschen beschrieben hat: was es bedeutet, wenn nicht Gott die Menschen führt, sondern wenn diese für ihr Tun selbst Verantwortung tragen. Was existenzialistische Philosophen Jahrhunderte später "die Geworfenheit der menschlichen Existenz" nennen sollten, Shakespeare hat es bereits im 16. Jahrhundert in all seinen Facetten beschrieben: das Ringen um Gut und Böse, die Spannung zwischen Gier und Güte, die Kraft der Liebe und die Gefahren der Triebe. Kaum ein anderer hat Glanz und Elend der Freiheit, wie der Autor Volker Weidemann überzeugend darlegt, auf solch "magische Weise überzeitlich und global" beschrieben: "Shakespeare war der Erfinder britischer Popkultur."
Eine fesselnde SPIEGEL-Lektüre wünscht Ihnen
Ihr Gunther Latsch
SPIEGEL-Redakteur

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