Sehr geehrter Herr Pascal Alter !
Ich komme gerade von einer Reise aus den USA zurück. Wenn man in Manhattan an einem Kiosk steht, könnte man den Eindruck gewinnen, die Krise auf dem Zeitungsmarkt sei eine glatte Lüge. Dicke Zeitungsstapel jedes Wochenende, glänzend fotografierte Magazin-Titelbilder, kluge Storys und fette Anzeigen - die Freude trügt, ich weiß. Ich bin mir jedoch sicher, dass der aktuelle SPIEGEL-Titel dort nicht untergegangen wäre: eine mit großem Aufwand recherchierte Geschichte meiner Wirtschaftskollegen über deutsche Biobauern, die verzweifeln, weil sie durch Billigimporte und Ökostrom-Förderung zum Aufhören gezwungen werden.
Das Gesellschaftsressort glänzt mit einem feinen, lakonischen Denkstück über das Erinnern: an die DDR und an den Mauerfall 1989. Mein Kollege Jochen-Martin Gutsch, in Ostberlin geboren, stürzt sich ins Wende-Gedenken. Er sitzt neben gesamtdeutschen Schülern, denen in 90 Minuten die DDR erklärt wird, er besucht einen Revolutionszug mit Bürgerrechtlern, eine Filmvorführung mit Stasi-Genossen und träumt schließlich vom idealen Gedenkakt, bei dem einer ans Mikrofon tritt und endlich mal die Wahrheit sagt: Hätte man im Westen nicht so schön einkaufen können, vielleicht würde die Mauer heute noch stehen. Lesen Sie selbst!
Aus der Kultur möchte ich das Porträt des Nazi-Jägers Fritz Bauer empfehlen, der maßgeblich zur Verhaftung von Adolf Eichmann beitrug und ab 1963 Täter von Auschwitz vor Gericht brachte. Mit dem heute nahezu vergessenen hessischen Generalstaatsanwalt beschäftigen sich derzeit gleich drei deutsche Filme, teils schon abgedreht, teils im Entstehen. Bauer war Jude, Sozialdemokrat und Homosexueller, er sah seine Lebensaufgabe darin, dem "deutschen Volk die Augen zu öffnen für das, was geschehen war". Er starb 1968, einsam und betrunken, in einer Badewanne; mein Kollege Thomas Hüetlin hat mit ehemaligen Mitarbeitern von ihm gesprochen.
Last but not least beschäftigt mich der Insider-Bericht von Susanne Koelbl aus Iran. Koelbl hat Gasförderanlagen in Südiran besucht, sie erzählt mit viel Detailwissen von einem Land, das unter dem Handelsembargo ächzt, aber doch Schlupfwege findet, Kontakte zu westlichen Partnern zu halten und Hightech und frisches Geld ins Land zu schleusen. Unheimlich, beeindruckend.
Ich finde, unsere erste November-Ausgabe ist eine gelungene Mischung aus Hintergrund, politischer Analyse und meinungsstarker Erzählung, optisch klar und unaufdringlich ich jedenfalls, Zeitungssterben hin oder her, bin dankbar für jeden Tag, an dem ich als Journalistin die Welt bereisen und beschreiben darf.
Viel Freude mit dem neuen SPIEGEL wünscht Ihnen
Fiona Ehlers
SPIEGEL-Redakteurin
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