Sehr geehrter Herr Pascal Alter!
Ich bekenne. Ich habe die Vereinigten Staaten und ihre Politik schon sehr früh nicht verstanden. Zum Beispiel bei Krieg und Kollaborationen, die von Washington gesteuert wurden. Ich war deshalb bei den Protesten Ende der Sechziger und Anfang der Siebziger dabei, als Steine gegen das Amerika-Haus in Hamburg flogen, und man konnte meine Geisteshaltung wohl antiamerikanisch nennen. Ich fühlte mich später immer wieder an diese Zeit erinnert, bei der Invasion von US-Truppen im Irak etwa, als Gerhard Schröder und Joschka Fischer uns standhaft von einer deutschen Beteiligung an diesem "Abenteuer" verschonten. Oder als Sarah Palin auf der politischen Bühne erschien, diese schrille Pfingstlerin, die 2009 tatsächlich als Vizepräsidentin der Republikaner an die Spitze der Weltmacht hätte rücken sollen. Und jetzt also Donald Trump. Dieser milliardenschwere Dampfplauderer mit schlecht sitzender Fönfrisur. Mein Kollege Markus Feldenkirchen hat die Windmaschine zu vielen Wahlkampfauftritten begleitet und beschreibt eindringlich und aus großer Nähe, wie aus einem schlechten Witz eine verstörende politische Realität werden könnte. Denn Trump ist derzeit aussichtsreicher Bewerber der Republikaner für die Präsidentschaftswahlen. Feldenkirchen erlebte hautnah, wie Trump Politik zwischen Comedy und Hetze inszeniert. Der Politthriller "House of Cards" ist dagegen ein müder Vorfilm.
Beate Klarsfeld, die 1968 den damaligen Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger auf einem CDU-Parteitag wegen seiner Nazivergangenheit ohrfeigte, gehört zu den Menschen, die meine politische Sozialisation geprägt haben. Das Leben der Deutschen, die ihr Dasein der Jagd nach ehemaligen Nazis verschrieb - zusammen mit ihrem Ehemann Serge Klarsfeld, einem französischen Juden -, gleicht einem Agententhriller. Mein Kollege Romain Leick spricht sehr einfühlsam mit dem Ehepaar über ihre Memoiren, die jetzt auf Deutsch erscheinen, und die Motive für ihren politischen Kampf. Ein bewegendes Stück Geschichte.
Genauso wie der Beitrag über "Wolfskinder", über Kinder also, die nach Ende des Zweiten Weltkriegs während der Flucht aus Ostpreußen ihre Familie verloren und in Litauen bei Fremden aufwuchsen, manchmal als Pflegekinder, manchmal als Knechte oder Mägde. 5000 dieser Schicksale hat es wohl gegeben, ergab eine wissenschaftliche Untersuchung. Meine Kollegin Susanne Beyer traf zwei ehemalige Wolfskinder und hat ihre ergreifenden Schicksale anrührend beschrieben.
Als Vater eines Kindes mit ausländischen Wurzeln gehen mich Fremdenfeindlichkeit und Rassismus, Integration und Multikulti-Realität seit Jahren ganz persönlich an. Ich verfolge deshalb Geschichten über die Schicksale der Flüchtlinge, über ihre Not und Verzweiflung, aber ebenso die Arroganz im reichen Westen mit ganz besonderem Interesse. Zur Flüchtlingskrise gehören auch die Schlepper, die schutzsuchende Menschen illegal über die Grenze bringen. Über 2600 hat die Bundespolizei bereits in diesem Jahr ergriffen, 618 sitzen in bayerischen Gefängnissen. Sie handeln mit krimineller Energie, aus Gier, aus wirtschaftlicher Not. SPIEGEL-Reporterin Dialika Neufeld war mit einem deutschen Pflichtverteidiger unterwegs und traf im Gefängnis Schlepper, die auf ihren Prozess warten. Ein spannendes Stück aus einer anderen Welt.
Ich wünsche Ihnen eine ebenso auf- wie anregende SPIEGEL-Lektüre
Ihr Manfred Ertel
SPIEGEL-Redakteur
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