niedziela, 28 września 2014

Franz Kafka DER SPIEGEL BRIEF

ehr geehrter Herr Pascal Alter !

Unsere Zeit ist knapp, kostbar. Wir sind informiert über das Weltgeschehen, mehr als das: Nachrichten umflirren uns, sie blinken, schreien, wetteifern um unsere Aufmerksamkeit. Es ist nicht leicht, ihnen zu entrinnen. Warum also sollten Sie diese Woche unbedingt den SPIEGEL lesen, dieses mehrheitlich noch auf Papier verbreitete, etwas anachronistisch anmutende, nicht kostenlos zu habende Konvolut von Geschichten? Ich könnte Ihnen jetzt erzählen, wie wir beim SPIEGEL arbeiten, was unseren Journalismus, wenn es gut läuft, besonders macht, im besten Falle überraschend, bereichernd, einzigartig. Stattdessen möchte ich Ihnen fünf Texte aus dem aktuellen Heft empfehlen, die meiner Meinung nach für sich selbst sprechen.

Wahre Meisterwerke sind zeitlos, und Franz Kafkas Roman "Der Prozess", dessen erste Sätze der Autor vor genau 100 Jahren ersann, ist zweifellos ein Meisterwerk. Dennoch: Wie konnte dieser Prager Versicherungsangestellte, der, von Selbstzweifeln geplagt, beinahe nebenbei zum Dichter wurde, so präzise vorhersehen, wie wir ein Jahrhundert später leben, kommunizieren, anonym überwacht werden würden? Wie kam Kafka, lange bevor es E-Mail und die NSA gab, auf Sätze wie diesen, den er 1922 ganz beiläufig an die Journalistin Milena Jesenská richtete: "Geschriebene Küsse kommen nicht an ihren Ort, sondern werden von den Gespenstern auf dem Weg ausgetrunken"? Mit derlei Fragen beschäftigt sich mein Kollege Volker Hage in der Titelgeschichte - und widerlegt dabei, seinerseits ganz beiläufig und elegant, den großen Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki, der Kafka für einen Egozentriker hielt, den "genau genommen, nur eine einzige Person auf Erden wirklich interessierte".

Apropos Überwachung: Hatten Sie auch schon das Vergnügen, an einem deutschen Flughafen von Mitarbeitern des US-Heimatschutzministeriums überprüft zu werden? Und wussten Sie, dass sie darüber entscheiden können, ob Sie Ihre Reise in die USA antreten dürfen oder nicht - und zwar mit einer "mündlichen Empfehlung" an die Fluggesellschaft, unmittelbar vor dem Einsteigen am Flugsteig? Nach Ansicht von Datenschützern bewegen sich die Amerikaner damit in einer "verfassungsrechtlichen Grauzone" - die Bundesregierung sieht kein Problem. Auf eine Anfrage meiner Kollegen Maik Baumgärtner, Hubert Gude und Jörg Schindler reagierte die Bundesdatenschutzbeauftragte Andrea Voßhoff alarmiert: Sie werde die SPIEGEL-Recherchen zum Anlass nehmen, "den Sachverhalt erneut zu prüfen". Die Amerikaner werben derweil dafür, gleich die gesamte Einreiseprozedur vor dem Abflug auf europäischem Boden durchführen zu können - dieses Ansinnen immerhin hat die Bundesregierung vorerst zurückgewiesen.

Nachdem vergangene Woche wie so oft mehrere SPIEGEL-Gespräche im Heft waren, in denen zu verschiedensten Themen ausschließlich Männer befragt wurden, habe ich mich gefreut, dass in dieser Ausgabe drei interessante Frauen zu Wort kommen: Lena Dunham, die Erfinderin der Kult-Fernsehserie "Girls", die Nobelpreisträgerin Herta Müller und Bundesbildungsministerin Johanna Wanka. Müller und Wanka verbindet, dass beide in einer sozialistischen Diktatur aufgewachsen sind - die Schriftstellerin in Rumänien, die Ministerin in der DDR. Mit unterschiedlich drastischen Worten erinnern sie sich an ihre Jugend in einer Welt, deren Untergang für beide ein großes Glück war. Die Todesangst, die sie einst aus politischen Gründen und im vergangenen Jahr wegen einer Krankheit erneut empfunden habe, so Müller, habe ihr gezeigt, dass sie "verdammt noch mal" ziemlich gern lebe. Auf die Nachfrage meiner Kolleginnen Elke Schmitter und Susanne Beyer, was genau am Leben so schön sei, antwortet Herta Müller: "Alles! Egal was. Es ist auch nichts im Leben so schlimm, dass es keinen Sinn mehr hat zu leben."

Viel Vergnügen bei der SPIEGEL-Lektüre wünscht Ihnen

Samiha Shafy
SPIEGEL-Redakteurin

Samiha Shafy
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Quelle

https://mail.google.com/mail/u/0/#inbox/148bb0d62f8d7189?compose=148c0105d022684

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