Sehr geehrter Herr Pascal Alter ,
in der Demokratie zählt Volkes Wille. Dass Meinungsforscher diesen Willen am Telefon abfragen, ist bekannt. Neu war mir, wie gut die Chancen stehen, dass aus dem Telefongeplauder Regierungshandeln wird. Frank Hornig und Sven Becker konnten ihn nun endlich auswerten, einen der wichtigsten Instrumentenkästen der merkelschen Politik: die geheimen Umfragen des Kanzleramts. Was denkt das Volk über die Regierung, die Klimapolitik, die Abschaffung der Wehrpflicht? Rund 600-mal ließ Merkel zwischen 2009 und 2013 die Demoskopen arbeiten. Und behielt die Ergebnisse für sich. Erst jetzt gelang es, die Umfragen der letzten Legislaturperiode öffentlich zu machen. Meine Kollegen fanden heraus: Fast im Wortlaut wiederholte die Kanzlerin bisweilen, was Emnid, Forsa, Infratest dimap oder die Forschungsgruppe Wahlen zuvor als Volkswillen identifiziert hatten. Das merkelsche Gespür für deutsche Stimmungslagen? Wahrscheinlich doch mehr Mathematik als Bauchgefühl.
Jede Zeit hat ihren Knall. Der heutige scheint der Freizeitsport zu sein. Marathon, Triathlon, Crossfit - der Mensch fühlt sich gut, wenn er Körper und Willen im Griff hat. Die Natur aber lässt sich nicht so leicht bezwingen. Lukas Eberle hat vom Mont Blanc eine Reportage mitgebracht, die beschreibt, was geschieht, wenn ein Berg zum Abenteuerspielplatz wird. Rund 30.000 Kletterer wollen jedes Jahr dorthinauf, manche am liebsten an einem Tag hoch und zurück. Durch Passagen wie den "Todeskorridor". Eberle berichtet von wilden Campern, von Sportlern mit Joggingschuhen und Vätern, die ihre Kinder den Berg hinaufscheuchen. Das kann nicht gut gehen. Und endet oft genug mit tragischen Todesfällen.
Die Bloggerin Mary Scherpe wird seit zwei Jahren von einem Mann belästigt, mit dem sie einst eine Beziehung hatte. Als sie die beendete, begann der Exfreund, sie in sozialen Netzwerken zu beleidigen, Fotos von ihrer Wohnung zu posten. Sie will den Stalker nicht gewinnen lassen, sie will nicht umziehen, sie will ihre Telefonnummer nicht ändern. Bei der Polizei fand Scherpe kein Gehör. Vor dem Gesetz scheint ihre Bedrängung deshalb nicht schlimm genug, ihre Anzeigen gegen den Mann führten nicht weit. Doch sie fand andere Waffen, um sich zu wehren, wie meine Kollegin Katrin Elger erzählt. Mary Scherpe macht öffentlich, was der Verfolger ihr antut, sie bloggt, sie hat ein Buch geschrieben. Sie sagt: "In die Offensive zu gehen hilft mir." Trotzdem stellt sich die Frage: Was muss geschehen, damit jemandem in einer solchen Situation geholfen wird?
Viel Spaß bei der SPIEGEL-Lektüre wünscht Ihnen
Kerstin Kullmann
SPIEGEL-Redakteurin
Brak komentarzy:
Prześlij komentarz