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13.06.2008 00:12
Mathematik zwischen Genie und Wahnsinn - zum 80. Geburtstag von John Nash
An einem Aprilabend des Jahres 1959 tragen zwei Polizisten in Zivil
einen Mann, der sich vergeblich wehrt, zu ihrem Auto, das vor einem
Haus in einem Vorort von Boston parkt. Sie fahren zum nahegelegenen
Städtchen Belmont und liefern ihn im McLean Hospital[1] ab, einer
großen psychiatrischen Klinik. Es ist das vorläufige Ende der
Karriere von John Nash, des besten amerikanischen Mathematikers seiner
Generation, und es dauert danach Jahrzehnte, bis er wieder ein normales
Leben führen und für seine Leistungen die verdiente Anerkennung
finden kann.
John Forbes Nash jun.[2] wurde vor 80 Jahren am 13. Juni 1928 in der
Kleinstadt Bluefield im US-Bundesstaat West Virginia geboren. Sein
Vater arbeitete als Elektroingenieur, die Mutter war ausgebildete
Lehrerin. Nash absolvierte die High School, wo er sich vom normalen
Schülerleben zurückhielt, und ging 1945 nach Pittsburgh an die
Technische Hochschule, die heutige Carnegie Mellon University[3]. Hier
studierte er Chemie, wechselte aber zur Mathematik und erhielt 1948 ein
Stipendium für eine Elite-Hochschule an der Ostküste.
Nash entschied sich für die Universität Princeton[4], deren
mathematische Abteilung[5] die beste des Landes und nachhaltig durch
Immigranten aus Europa geprägt war. Hier wirkten Stars wie Emil Artin,
Alonzo Church, William Feller oder Solomon Lefschetz sowie Superstar
John von Neumann. Vom benachbarten Institute of Advanced Study[6]
schauten gelegentlich die Halbgötter Albert Einstein und Kurt Gödel
vorbei. Binnen zwei Jahren beendete Nash seine Dissertation[7] zur
Spieltheorie[8], in der er das Konzept des nichtkooperativen Spiels und
als optimale Strategie das später nach ihm benannte
Nash-Gleichgewicht[9] vorstellte.
Ein populäres Beispiel eines solchen Spiels ist der "Kampf der
Geschlechter"[10]. Ein Mann und eine Frau, die an verschiedenen Orten
in der Stadt sitzen, wollen gemeinsam den Abend verbringen. Ihre Handys
sind kaputt, sodass sie nur durch Vernunft gelenkt losmarschieren,
natürlich in der Hoffnung, am Ziel den Partner vorzufinden. Zur Wahl
stehen ein Fußballmatch, was der Mann präferiert, und ein Konzert,
die Vorliebe der Frau. Wer geht nun wohin?
In Nashs Theorie gibt es zwei Gleichgewichte, also Lösungswege, die
den Abend retten: Mann und Frau sehen sich entweder beim Fußball oder
beim Konzert. Dabei bleibt offen, wie sie zu ihren Entscheidungen
kommen. Einfacher ist es, wenn das Spiel mehrmals hintereinander
abläuft: Hier existiert eine Wahrscheinlichkeit, mit der die Partner
zu Sport oder Musik gehen sollten, um sich möglichst oft zu treffen.
Generell gilt für Nash-Gleichgewichte, dass keiner der Beteiligten
durch ein isoliertes Abweichen von der Strategie seinen Nutzen mehren
kann.
Neben dem Gleichgewicht entwickelte der junge Mathematiker in Princeton
noch die Nash-Verhandlungslösung[11] und fand den
Nash-Einbettungssatz[12], ein überraschendes Resultat aus der reinen
Mathematik. Ab 1951 lehrte er in Boston am MIT[13], wo er unter anderem
das 19. Hilbertsche Problem[14] löste. In den Sommerferien jobbte er
in der RAND Corporation[15], der legendären kalifornischen
"Denkfabrik", wo er sich auch mit Programmieren beschäftigte. 1957
heiratete er eine Studentin, Alicia Larde, die einer großbürgerlichen
Familie aus El Salvador entstammte.
Wie weit sich Nashs Krankheit in seinem exzentrischen Auftreten und
eigenwilligen Sexualleben andeutete, sei hier nicht erörtert. Der
Zusammenbruch kam jedenfalls im Frühjahr 1959, als er von so
intensiven Wahnvorstellungen heimgesucht wurde, dass eine Einweisung
ins Krankenhaus unvermeidbar war. Nach zwei Monaten im McLean Hospital
kündigte er beim MIT und fuhr mit seiner Frau für ein Jahr nach
Europa, wo er erfolglos um politisches Asyl nachsuchte. Nach der
Rückkehr in die USA brachten zwei Klinikaufenthalte nur temporäre
Besserung – Nash blieb in den Klauen der paranoiden
Schizophrenie[16]. Allerdings erlebte er immer wieder lichte Momente
und konnte wissenschaftlich arbeiten. 1978 erhielt er eine
Auszeichnung[17] für Betriebswirtschaft.
Nach drei Jahrzehnten vermochte Nash das Leiden abzuschütteln.
Zugleich lenkte die zunehmende Verbreitung der Spieltheorie die
Aufmerksamkeit der Experten auf seine Texte, und auch deutsche[18]
Forscher setzen gerne seine Ideen um. Das Happy End ist bekannt: 1994
gewann John Nash zusammen mit John Harsanyi und Reinhard Selten den
Nobelpreis[19] für Wirtschaftswissenschaften. Zur globalen
Persönlichkeit wurde er durch den Spielfilm "A Beautiful Mind"[20]
nach der gleichnamigen Biographie von Sylvia Nasar[21].
Spätestens seit seinem Nobelpreis ist Nash, wie man so schön sagt,
ein normaler Mensch und in der Lage, objektiv über seine Vergangenheit
zu sprechen[22]. Er arbeitet[23] wieder in der Universität Princeton,
die zu seinen Ehren eine Konferenz[24] mit prominenten Gästen
ausrichtet. (Ralf Bülow) /
(jk[25]/c't)
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Links in diesem Artikel:
[1] http://mcleanhospital.org/
[2] http://nobelprize.org/nobel_prizes/economics/laureates/1994/nash-autobio.html
[3] http://www.cmu.edu/index.shtml
[4] http://www.princeton.edu/main/
[5] http://www.princeton.edu/~mudd/finding_aids/mathoral/pmcxrota.htm
[7] http://www.princeton.edu/mudd/news/faq/topics/Non-Cooperative_Games_Nash.pdf
[8] http://www.spieltheorie.de
[9] http://de.wikipedia.org/wiki/Nash-Gleichgewicht
[10] http://de.wikipedia.org/wiki/Kampf_der_Geschlechter
[11] http://en.wikipedia.org/wiki/Nash_bargaining_game
[12] http://de.wikipedia.org/wiki/Einbettungssatz_von_Nash
[13] http://www.mit.edu
[14] http://en.wikipedia.org/wiki/Hilbert's_problems
[15] http://www.rand.org/
[16] http://www.aok.de/bund/tools/medicity/diagnose.php?icd=2519
[17] http://www.informs.org/article.php?id=578
[18] http://ockenfels.uni-koeln.de
[19] http://nobelprize.org/nobel_prizes/economics/laureates/1994/
[20] http://en.wikipedia.org/wiki/A_Beautiful_Mind_(film)
[21] http://en.wikipedia.org/wiki/Sylvia_Nasar
[22] http://nobelprize.org/mediaplayer/index.php?id=429
[23] http://www.math.princeton.edu/jfnj/
[24] http://econ.princeton.edu/nashconference/
[25] mailto:jk@ct.heise.de
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